Im Namen der Kunst

„Freundlich, lustig, Kino liebend und sexy“ sollte es zugehen, versprach Marina Foïs, Gastgeberin der 46. Verleihung des nationalen Filmpreises „César“ im März 2021. Was sich dann aber abspielte, hatte mit dem ursprünglichen Plot nicht mehr viel zu tun. Stattdessen gab es einen politischen Striptease und Adolf Hitler wurde ein unerwarteter Gastauftritt beschert. Es war ein bizarrer Cut, den Frankreichs Schauspielbranche mit dem Kino des alten, weißen Mannes vollzog. Die Chance, Kunst groteske Wirklichkeit entlarven zu lassen, wurde vertan. Stattdessen bekam das Publikum einen Vorgeschmack auf schnöde Agitprop und Publikumsdrill. Wer glaubt, dass woker Aktivismus den Zenit bereits erreicht hat, sei sich gewiss: Da geht noch was! Wer Hitler auferweckt, um Polanski zu vernichten, hat noch totalitäres Pulver in petto.

Zur Erinnerung: Ein Jahr zuvor war Roman Polanski der Preis für die beste Regie für seinen Film „Intrige“ verliehen worden. Der Abend endete mit einem Eklat. Die Schauspielerin Adèle Haenel stürmte aus dem Saal und schmähte die „Académie“, die den des sexuellen Missbrauchs angeklagten Polanski, auch noch mit Ehrungen überhäufe. Haenel hatte die #metoo-Debatte mit ihren eigenen Offenbarungen über Missbrauch 2019 erneut entfacht. Auch die Schriftstellerin Virginie Despentes beklagte in einem offenen Brief die patriarchalen Strukturen in der Filmbranche. Vergewaltigung werde in der Kunst nicht nur toleriert, sondern gar honoriert. Das Talent des Vergewaltigers werde nicht geliebt und bewundert, obwohl es sich um einen Vergewaltiger handele, sondern weil es sich um einen Vergewaltiger handle. Ein Rundumschlag gegen Politiker, Gerichte, korrupte Medien und Polizeigewalt folgte.

Despentes Text loderte vor Wut gegen eine Gesellschaft, die Nachsicht gegenüber Tätern walten lasse im Namen der Kunst und spiegelte einen kalten Hass gegen die „Reichen“, deren „Schwänze“ mit dem „Blut und der Scheiße der Kinder befleckt sind, die sie vergewaltigen“.

An Despentes Invektiven schieden sich die Geister: Die einen begeisterten sich für die systemsprengende Kraft, die anderen bezichtigten die bekennende islamfreundliche Linke des Antisemitismus und feministischer Lynchjustiz. Es hätte einer dieser vorübergehenden Verbalinjurien sein können, begleitet von ein paar Shitstorms und morgen schon vergessen. Dieses Mal verhielt es sich jedoch anders: 2020 sollte das Jahr sein, in dem Frankreich erneut von Missbrauchs-und Inzestskandalen erschüttert wurde. Camille Kouchner enthüllte den Missbrauch ihres Bruders durch den Stiefvater. Die Schauspieler Richard Berry und der Regisseur Luc Besson wurden sexueller Gewalthandlungen beschuldigt. 

Ein Beben durchlief die auf Schweigen und Verdrängung geeichte Gesellschaft. Die Auseinandersetzung mit dem ubiquitären Machtmissbrauch schien mehr als geboten.

So beschloss auch die komplett neu aufgestellte „Académie des Césars“ dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Aufklärung und Gerechtigkeit Rechnung zu tragen. Ein legitimer Ansatz, ein hehres Ansinnen! Was sich dann aber zutrug am Abend des 12. März war eine Show der Selbstkasteiung und moralischen Überlegenheit – forciert-lachhaft und so konsequent, als hätte Despentes die Regieanweisungen erteilt.

Die Schauspielerin Corinne Masiero, geladen zur Preisübergabe, betrat die Bühne in einem blutigen Eselskostüm, blutgetränkte Tampons in den Ohren. „Peau d’Âne“, zu deutsch „Eselshaut“ ist ein Klassiker der französischen Filmgeschichte mit Catherine Deneuve in der Hauptrolle. Der Film basiert auf einem Märchen Charles Perraults, in dem ein König die eigene Tochter zu heiraten verlangt. Die Gebrüder Grimm haben in „Allerleihrau“ die deutsche Version von unrechtmäßigem Begehren und väterlicher Gewalt erzählt. Feministisch gedeutet wird das Märchen auch im Sinne eines Befreiungsakts und einer Selbstermächtigung nach erfolgter Demütigung und Verletzung. Masiero spielte mit der Wahl des Kostüms nicht nur auf Polanski an, sondern auch auf Dominique Boutonnat, den Präsidenten des „Centre National du Cinéma“, angeklagt der versuchten Vergewaltigung seines Neffen. Das blutgetränkte Gewand erinnert nicht von Ungefähr an ein härenes Büßergewand, das befleckt ist von Gewalt und Missbrauch. Masiero legt es ab und zeigt den rot getönten, mit Kampfparolen beschriebenen Körper. Opfer ist sie und Rächerin zugleich. Gemeinsam mit ihren am „Théâtre de l’Odéon“ demonstrierenden Kollegen fordert sie die Rettung der Kultur ein. „No culture no future“ prangt auf ihrem Rücken, auf dem Bauch ein Appell an den Kulturminister: „Gib uns die Kunst zurück, Jean!“

Was als heftiger Akt gegen patriarchale Strukturen gedacht war, erwies sich als trashiger Exhibitionismus, einer abgeschmackten Mélange aus Femen und Public-Humiliation-Porn. 

Dass politischer Aktivismus die Kunst von der Bühne peitscht, ist schmählich genug. Dass dieser Aktivismus mit zweierlei Maß misst, was die eigenen Anhänger betrifft, erschreckend. Man darf gespannt sein, was uns bei der Nobelpreisverleihung an Annie Ernaux im Dezember erwartet. Ein Loblied auf Mütterchen Annie, ein Hasslied auf Israel? 

Die Challenge ist eröffnet!

3 Antworten zu “Im Namen der Kunst”

  1. Liebe Ute, mir ist es nicht ganz klar geworden: Worauf gründet Hitlers Gastauftritt während der Verleihung? Eine verkleidete Figur? (Das wäre allerdings furchtbar, abstoßend und skandalös). Ansonsten weiß ich für mich nicht, wie ich diesen Spagat zwischen Kunst und Kriminalität halten soll. Mir scheint, Kriminalität / Verbrechen färbt auf die Kunst ab, zumindest die Kunstrezeption – zumindest verhält es sich in meinem Fall so. Die Glut eines Kunstwerks erkaltet.

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  2. Liebe Ute, es ist schwierig, das von außen zu beurteilen, aber was ich lese, ist … mir scheint, zynisch trifft es am besten. „Il faut savoir séparer l’homme de l’homme politique“, so der comédien, aber kann man das? Was bedeutet es, für die Trennung von Kunst und Leben ausgerechnet an einem der größten Verbrecher, vielleicht dem größten überhaupt zu fordern? Teile des Kulturbetriebs setzen Tabus erheblich unter druck. Was, wenn alle Tabus geschleift sind?

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