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Was uns bewegt, aufwühlt, erschüttert, irritiert und belebt

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My Birthday

Guten Morgen, les chéris! Herzlichen Dank für die zahlreichen Glückwünsche zu meinem Geburtstag! Ich bin sehr dankbar für meine freundliche, anregende, debatteninteressierte Community! Merci!
Der Tag war wunderbar. Es gab ein köstliches Entremet au chocolat mit praliné feuillantine (hausgemacht von meiner Tochter) und französische Gedichte (eine schöne Tradition seitens meiner Kinder) … Gratuliert wurde mir in einer verblüffenden Vielfalt.
Hier der morgendliche Gruß meiner Freundin Annette. Herrlich!

Annette Wiegand an der Orgel

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Über Fontane und die Soupçon-Natur – Maulfeil Kolumne

Mit dem Ohrläppchen fing es an, das Malheur. Es gibt Kinder, die den menschlichen Körper mit Buntstiften auf Zeichenpapier bannen und die einzelnen Organe auswendig lernen und wahlweise pink oder quietschgrün kolorieren. Wenn die Leber einen dunkelvioletten Pinselstrich erfährt, erschrickt der Erwachsene und das Kind jubiliert. Kinder haben merkwürdige Vorlieben für Wörter. Dem einen ist „Kettensäge“ ein Lieblingswort in aller Unschuld, dem anderen „Staubsauger“ oder „Katzenklo“. Das klingt so schön, das ist so lustig! Mein linguistisches Erweckungserlebnis war das Ohrläppchen. Ein langer, tiefer Hall, hineinströmend in das Geheimnisvolle, ein weiches zappelndes Etwas, das ganz grundlos an diesem verschwurbelt-verdrehten Hörorgan hängt. Geheimnisvoll und ohne erkennbare Funktion. Ein Objekt der Begierde auch, das große Zeiten, das Abenteuer des Erwachsenseins verhieß, wenn man sich endlich diese zarte Läppchendurchstechen und mit bunten Schmucksteinen verzieren konnte. Ohrläppchen! Verzückt saß ich da, wenn’s jemand aussprach, genießerisch ließ ich die Silben über meine Zunge rollen. Noch viele Wörter sollten dem Läppchen nachfolgen: Manchmal waren es Eigennamen (Jens, Nils, Ansgar! Ohlala!), dann wieder kulinarische Bezeichnungen (Windbeutel, Schokokuss, Mus mit einem ganz langgezogenen u) und schließlich dieser kuriose, inzwischen liebgewonnene, höchstgeschätzte Begriff der „Soupçon-Natur“. Theodor Fontane hat es aufs Tapet gebracht. Sein eigenes skeptisches Wesen bezeichnete er damit. Ausgerechnet Fontane! Mit einem spießig langweiligen Promeneur durch die Mark Brandenburg assoziierte ich ihn, dessen größtes Vergnügen wohl nur darin bestehen konnte, mit dem Spazierstock Birnen von Ribbentrops Bäumen zu schlagen. Seine Brüder im Geiste sah ich in den Grunewalder Goldrand-Brillenträgern, die bei Käsesahne mit Dosenmandarinen über alles, was nicht richtig berlinert, die Nase rümpfen. Fontane wähnte ich da schon nahen, den Schnurrbart zwirbelnd und ins selbe Horn stoßend: „Einverleiben lassen sie sich, aber eingeistigen nicht.“ Ojemine, da rollen sich einem die Zehennägel auf! Soll man solchen Sprücheklopfern eine Chance geben? „Soupçon-Natur“, flüstert Fontane, und schon hat er mich eingefangen. Das klingt so schön französisch, weniger hart als „misstrauisch“. Vom Klang her zaubert es den Sprechenden und seinen Zuhörer an einen mit weißem Linnen gedeckten Tisch, auf dem sich Pasteten, kross gebackenes Brot und Trauben türmen. Da sitzt man dann und stellt sich vor, man könne die eigenen Gewissheiten mal einen Augenblick unter den Tisch fegen, diesen heilsamen Zweifel in die Seele sickern lassen. Man spricht ihn an, den alten Fontane, den „Preußenverherrlicher“, auf Bebel, die Juden, die Frauen und schnell wird man sich gewahr, dass sich der Alte nicht so einfach in Vorurteile eintüten lässt, wie man es gerne hätte. Zu mächtig wirkt das schöne Wort „Soupçon-Natur“ in einem nach, entfacht den Zweifel, dass nicht alles so abscheulich ist, wie es den Anschein hat. Fontane, war er wirklich misogyn? Man steckt die Nase in Fontanes Korrespondenz mit der Gattin und staunt. „Die Zuneigung ist etwas Rätselhaftes“ heißt es da. Ein Lob auf das Mysterium, ein Herz für den „Soupçon“, denn was ist der Liebe mehr zuwider als die „Einpöklung abgestorbener Dinge“?

Hörbuchempfehlung: Emilie & Theodor Fontane „Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles“, Hörkultur Verlag

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Über Klassenposer und vermeintlich statische Gesellschaften

„Während französische Soziologen und Demokratieforscher den Klassenbegriff längst kritisch beleuchten oder gar ad acta gelegt haben, huldigen deutsche Proselyten einem abgehalfterten Götzen. „Klasse ist zu einer Art Orden für Aktivisten geworden“, sagt der Demokratie-Forscher Pierre Rosanvallon zu dieser Verschacherung eines soziologischen Ladenhüters.“

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Über Antisemitismus und die documenta im culturmag

„Es ist die Hochzeit der Kunstsoziologie. Wer über Kunst spricht, wird aufgefordert, seine Privilegien zu checken. Der Sprecher und seine soziale Verankerung sind bedeutsamer als das Werk selbst. Werkimmanente Kriterien wie Fantasie, Stil, Innovation und Technik gelten als konservativ und überholt. Kanonbildung gilt als Machtinstrument einer sozialkulturellen Elite, die unweigerlich zum Silencing der Stimme des Volkes führt.

Sozialkitsch, Kunstautonomie, Fremdbestimmung, Kapitalismuskritik … Den Diskurs über Kunst prägen Begriffe, die zu Buzzwords verkommen oder an deren Auflösung emsig gearbeitet wird.“

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Über teutonische Wälder, die Generation Beleidigt und die Freuden der Libertinage

„Sie kennen die Deutschen nicht. Die haben keine Ahnung von Freiheit“, klagte Helmut Berger 2018 als Duc de Walchen an der Volksbühne in Albert Serras Stück „Liberté“. Seine Komplizin und Leidensgenossin Duchesse de Valselay (Ingrid Caven) lässt sich davon nicht abschrecken und versucht, das biedere Preußen mit den Freuden der Libertinage zu beglücken.

Die Peitsche zischt auf rosige Ärschlein hernieder. Im teutonischen Wald wird’s bunt getrieben. Frei nach Marquis de Sade wird traktiert und parliert. Die Liebesmüh ist jedoch vergebens: Der Tugendterror triumphiert.“

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Über Thomas Fischers Sex and Crime, Totaldurchrechtlichung und Resexualisierung des Rechts

„Wir können es nicht wollen, dass Geschlechtlichkeit das Recht determiniert, dass Biologie vom Menschen erschaffenes Recht wieder determinieren soll. Auch ist es wenig wünschenswert, dass jeder kleinste Winkel unserer Intimität durchleuchtet und kontrolliert wird.

Das Leben schreibt die besten Geschichten, heißt es, und nicht selten übertrifft die Wirklichkeit die Phantasie selbst der originellsten Autoren. True Crime Fiction boomt und die Sehnsucht nach Wahrheit wächst. Der Weg von der Fiktion und damit vom Gedanken zu Recht und Strafe kann aber nur ein unilateraler sein. Er darf nicht münden in ein „Gedankenstrafrecht“ (Fischer). Der Dichtergeist kann sich Wille und Wahn in seinem Reich verschreiben, im Rechtssystem aber sollte er sich nicht zum Schöpfer aufschwingen, dieses Risiko ist unkalkulierbar.

Wenn wir klar zu unterscheiden wissen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, vermag das Strafrecht der Stoff sein, aus dem die Träume sind. Sehen wir das Recht jedoch durch das Prisma der Wünsche, entpuppt es sich schneller als Albtraum, als wir wahrhaben wollen.“

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Über lynchende Mütter und Rape and Revenge im kult

„Der Rahmen, in dem Gewalt, Hass und Rache in Deutschland diskutiert werden ist eng gesteckt: Zwischen Carolin Emckes öffentlichem, kontroversem Diskurs („Wer behauptet, aus politischen Motiven heraus zu töten, (…) der muss den begangenen Mord auch öffentlich erklären (…). Worin sonst sollte der politische Charakter des Tötens bestehen?“ Zeit Online, 6.9. 2007) und Maxim Billers „Hundert Zeilen Hass“ (A bisserl Unterstützung, bitte! „Sie Leser, Sie Meinungsnichts.“ (11/91) bewegt sich das intellektuell Akzeptable. Der Rest wird marginalisiert und wahlweise mit den Labeln „rechts“, „neoliberal“ oder „sexistisch“ versehen.“

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Über Lolita und Satans Spielfeld, Gewalt und Verführung im Podcast Das gute Leben

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